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Erich Kstner : Das Mrchen von der Vernunft
Nra 2007.10.28. 00:08
Es war einmal ein netter alter Herr, der hatte die Unart, sich ab und zu vernnftige Dinge auszudenken
Erich Kstner : Das Mrchen von der Vernunft
Es war einmal ein netter alter Herr, der hatte die Unart, sich ab und zu vernnftige Dinge auszudenken. Das heit: zur Unart wurde seine Gewohnheit eigentlich erst dadurch, da er das, was er sich jeweils ausgedacht hatte, nicht fr sich behielt, sondern den Fachleuten vorzutragen pflegte. Da er reich und trotz seiner plausiblen Einflle angesehen war, muten sie ihm, wenn auch mit knirschenden Ohren, aufs geduldigste zuhren. Und es gibt gewi fr Fachleute keine rgere Qual als die, lchelnden Gesichts einem vernnftigen Vorschlage zu lauschen. Denn die Vernunft, das wei jeder, vereinfacht das Schwierige in einer Weise, die den Mnnern vom Fach nicht geheuer und somit ungeheuerlich erscheinen mu. Sie empfinden dergleichen zu Recht als einen unerlaubten Eingriff in ihre mhsam erworbenen und verteidigten Befugnisse. Was, fragt man sich mit ihnen, sollten die rmsten wirklich tun, wenn nicht sie herrschten, sondern statt ihrer die Vernunft regierte! Nun also.
Eines Tages wurde der nette alte Herr whrend einer Sitzung gemeldet, an der die wichtigsten Staatsmnner der Erde teilnahmen, um, wie verlautete, die irdischen Zwiste und Nte aus der Welt zu schaffen. "Allmchtiger!" dachten sie. "Wer wei, was er heute mit uns und seiner dummen Vernunft wieder vorhat!" Und dann lieen sie ihn hereinbitten. Er kam, verbeugte sich ein wenig altmodisch und nahm Platz. Er lchelte. Sie lchelten. Schlielich ergriff er das Wort.
"Meine Herren Staatshupter und Staatsoberhupter", sagte er, "ich habe, wie ich glaube, einen brauchbaren Gedanken gehabt; man hat ihn auf seine praktische Verwendbarkeit geprft; ich mchte ihn in Ihrem Kreise vortragen. Hren Sie mir, bitte, zu. Sie sind es nicht mir, doch der Vernunft sind Sie's schuldig."
Sie nickten, geqult lchelnd, mit ihren Staatshuptern, und er fuhr fort: "Sie haben sich vorgenommen, Ihren Vlkern Ruhe und Frieden zu sichern, und das kann zunchst und vernnftigerweise, so verschieden Ihre konomischen Ansichten auch sein mgen, nur bedeuten, da Ihnen an der Zufriedenheit aller Erdbewohner gelegen ist. Oder irre ich mich in diesem Punkte?"
"Bewahre!" riefen sie. "Keineswegs! Wo denken Sie hin, netter alter Herr!"
"Wie schn!" meinte er. "Dann ist Ihr Problem gelst. Ich beglckwnsche Sie und Ihre Vlker. Fahren Sie heim und bewilligen Sie aus den Finanzen Ihrer Staaten, im Rahmen der jeweiligen Verfassung und geschlsselt nach Vermgen, miteinander einen Betrag, den ich genauestens habe errechnen lassen und zum Schlu nennen werde! Mit dieser Summe wird folgendes geschehen: Jede Familie in jedem Ihrer Lnder erhlt eine kleine, hbsche Villa mit sechs Zimmern, einen Garten und einer Garage sowie ein Auto zum Geschenk. Und da hintendrein der gedachte Betrag noch immer nicht aufgebraucht sein wird, knnen Sie, auch das ist kalkuliert, in jedem Ort der Erde, der mehr als fnftausend Einwohner zhlt, eine neue Schule und ein modernes Krankenhaus bauen lassen. Ich beneide Sie. Denn obwohl ich nicht glaube, da die materiellen Dinge die hchsten irdischen Gter verkrpern, bin ich vernnftig genug, um einzusehen, da der Frieden zwischen den Vlkern zuerst von der ueren Zufriedenheit der Menschen abhngt. Wenn ich eben sagte, da ich Sie beneide, habe ich gelogen. Ich bin glcklich." Der nette alte Herr griff in seine Brusttasche und zndete sich eine kleine Zigarre an.
Die brigen Anwesenden lchelten verzerrt. Endlich gab sich das oberste der Staatsoberhupter einen Ruck und fragte mit heiserer Stimme: "Wie hoch ist der fr Ihre Zwecke vorgesehene Betrag?"
"Fr meine Zwecke?" fragte der nette alte Herr zurck, und man konnte aus seinem Ton ein leichtes Befremden heraushren. "Nun reden Sie schon!" rief das zweihchste Staatsoberhaupt unwillig. "Wieviel Geld wrde fr den kleinen Scherz gebraucht?"
"Eine Billion Dollar", antwortete der nette alte Herr ruhig. "Eine Milliarde hat tausend Millionen, und eine Billion hat tausend Milliarden. Es handelt sich um eine Eins mit zwlf Nullen." Dann rauchte er wieder an seiner kleinen Zigarre herum.
"Sie sind wohl vollkommen bldsinnig!" schrie jemand. Auch ein Staatsoberhaupt.
Der nette alte Herr setzte sich gerade und blickte den Schreier verwundert an. "Wie kommen Sie denn darauf?" fragte er. "Es handelt sich natrlich um viel Geld. Aber der letzte Krieg hat, wie die Statistik ausweist, ganz genau soviel gekostet!"
Da brachen die Staatshupter und Staatsoberhupter in tobendes Gelchter aus. Man brllte geradezu. Man schlug sich und einander auf die Schenkel, krhte wie am Spie und wischte sich die Lachtrnen aus den Augen. Der nette alte Herr schaute ratlos von einem zum andern. "Ich begreife Ihre Heiterkeit nicht ganz", sagte er. "Wollen Sie mir gtigst erklren, was Ihnen solchen Spa macht? Wenn ein langer Krieg eine Billion gekostet hat, warum sollte dann ein langer Frieden nicht dasselbe wert sein? Was, um alles in der Welt, ist denn daran komisch?"
Nun lachten sie alle noch lauter. Es war ein rechtes Hllengelchter. Einer konnte es im Sitzen nicht mehr aushalten. Er sprang auf, hielt sich die schmerzenden Seiten und rief mit der letzten ihm zu Gebote stehenden Kraft: "Sie alter Schafskopf! Ein Krieg - ein Krieg ist doch etwas ganz anderes!"
Die Staatshupter, der nette alte Herr und ihre lustige Unterhaltung sind vllig frei erfunden. Da der Krieg eine Billion Dollar gekostet hat und was man sonst fr denselben Betrag leisten knnte, soll, versichert eine in der "Frankfurter Neuen Presse" zitierte amerikanische Statistik, hingegen zutreffen.
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