1955 - WENDE UND DAS ENDE DER ENTRECHTUNG
LNÉ 2007.10.29. 22:00
1955 wurde der Kulturverband der Deutschen Werktätigen in Ungarn gegründet
1955 wurde der Kulturverband der Deutschen Werktätigen in Ungarn gegründet, der ab 1969 mit dem Namen Demokratischer Verband Ungarnländischer Deutschen, ab 1978 als Demokratischer Verband der Ungarndeutschen, und dann ab 1989 - die eingetretenen Veränderungen damit repräsentierend - als Verband der Ungarndeutschen wirkte. Dies bedeutete zwar eine Wende und das Ende der Entrechtung, die Mehrheit der in Ungarn zurückgebliebenen Deutschen bekannte sich - unter der nachhaltigen Einwirkung der erlebten Ereignissen - noch lange Jahre nicht zu der deutschen Nationalität. Bis Anfang der 1950-er Jahre erhielten die deutschen Kinder überhaupt keinen muttersprachlichen Unterricht, es gab keinerlei deutsche Kulturaktivität. 1961 wurde die gewaltsame Organisation der Landwirtschaftsproduktionsgenossenschaften abgeschlossen, die eine große Veränderung für die in der überwiegender Mehrheit in dörflicher Umgebung lebenden Deutschen bedeutete. Es lässt sich generell feststellen, dass in der Nationalitätenpolitik Ungarns bis 1968 das Prinzip des Automatismus vorherrschend war, demnach während des Baus des Sozialismus die Nationalitätenprobleme sich eigentlich von sich alleine lösen würden. So gesehen sind also keine besonderen Maßnahmen nötig.
Ab 1968 lässt sich ein neues Konzept beobachten, laut dessen die Integration der Nationalitäten angestrebt, ihre sprachliche Assimilation jedoch verhindert werden sollte. Das Problem damit war, dass es nur zentrale Regulierungsmaßnahmen bedeutete, aber die Herausbildung einer autonomen, auf lokaler Ebene funktionierenden Selbstorganisation unmöglich machte. Einen aktiveren Auftritt und damit eine Veränderung dieser Betrachtungsweise löste die Tatsache aus, dass die ungarische Öffentlichkeit immer unruhiger die seit den 1970-er Jahren eintretende Assimilationspolitik der Nachbarländer beobachtete, die die dortigen ungarischen Minderheiten bedrohte. Dies wurde zum Auslöser der Veränderung der ungarischen Betrachtungsweise, indem nun Ungarn die Nationalitätenpolitik der Nachbarländer dadurch in positive Richtung zu beeinflussen versuchte, dass es bestrebt war, seine eigenen Nationalitäten „beispielhaft” zu behandeln. Hier spielte die Aufwertung der „Brückenfunktion” eine wichtige Rolle, die in den sozialistischen Ländern die Nationalitäten spielen sollten. Die Kádár-Ära, die anscheinend die Nationalitätenpolitik unterstützte, versuchte im Grunde genommen erst gar nicht die Heilung der Wunden, die nach dem Zweiten Weltkrieg aufgerissen waren. Obwohl das System 1955 die Gründung eines Landesverbandes ermöglicht hatte, achtete es bis Mitte der 80-er Jahre darauf, dass es den Bestrebungen nach Selbstorganisation, der Gründung von regionalen und lokalen Organisationen und Vereine Einhalt gebietet. Die Gründung von einheimischen deutschen Zivilorganisationen wurde zunächst nicht zugelassen. Die damalige DDR pachtete sich förmlich die Ungarndeutschen im Rahmen von offiziellen Kulturbeziehungen, mit denen auch die ungarische Regierung bei der Stärkung der Beziehungen rechnete. Vor allem im schulischen Bereich kam viel Hilfe, die auch bitter nötig war, denn es sowohl an Lehrern wie an Lehrmitteln mangelte. Man soll an dieser Stelle erwähnen, dass das ungarische wissenschaftliche Leben eine große Hilfe von der ehemaligen DDR erhielt, viele Forscher durften auf eine Studienreise gehen, und die ungarischen Germanistikstudenten konnten im Rahmen von zwischenstaatlichen Vereinbarungen Semester an ostdeutschen Universitäten absolvieren. Bedauerlicherweise konnte über so was im Falle der Bundesrepublik Deutschland oder Österreich erst gar nicht die Rede sein. Erst die in der internationalen Situation eintretenden Veränderungen machten es möglich, dass die Ungarndeutschen auch mit diesen Ländern und mit ihren dort lebenden Verwandten und Familienmitglieder normale Beziehungen pflegen durften. Die Unterstützung der DDR konnte auf vielen Gebieten eine Hilfe leisten, die Ungarndeutschen sahen jedoch die DDR nie als ihr Mutterland an. Seit 1986 präferierte die offizielle ungarische Politik immer intensiver die Anerkennung der BRD als Mutterland. Der Besuch des Staatspräsidenten Richard von Weizsäcker stärkte diese Tendenz weiter. Auch in der scheinbar liberalen Minderheitenpolitik Ungarns waren politische Versuche, eine tatsächliche Interessenvertretung der Ungarn-deutschen zu schaffen, zum Scheitern verurteilt. Der 1955 gegründete Verband der Ungarndeutschen versuchte - in dem von der Regierung erlaubten Rahmen -, diese Aufgabe zu erfüllen. Seit Ende der sechziger Jahre, der Zeit der Wirtschaftsreform, gab es Freiräume für die sich allmählich herausbildende ungarndeutsche Intelligenz. So konnte sich eine bescheidene Literatur entfalten, wurden bildende Künstler in die kulturelle Tätigkeit einbezogen, wissenschaftliche Forschungen - vor allem im Bereich Volkskunde und Mundarten - betrieben. Wichtigstes Anliegen war, die Effektivität des Sprachunterrichts zu erhöhen. Seit 1982 erfolgt in immer mehr Grundschulen der zweisprachige Unterricht. In zahlreichen Kindergärten gibt es deutschsprachige Beschäftigungen. Auch die Zahl der zweisprachigen Gymnasien und Mittelschulen wuchs stetig und in einigen Fachschulen bestand die Möglichkeit, Maurer, Tischler, Zimmermänner und Gärtner in zwei Sprachen auszubilden, Praktikum bei ungarndeutschen und bei deutschen Unternehmern zu machen.
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